Merianstich von 1654

In der Zeit zwischen 956 und 965, als Otto der Große deutscher Kaiser war, gründeten die Schwestern Frederuna und Imma, Töchtern des Billunger Grafen Wichmann des Älteren, das Benediktinerinnen-Kloster, das bis 1147 zunächst ein Kanonissenstift war. Sie nannten es „caminata“ und übertrugen ihren ganzen Besitz der Stiftung. Der um das Kloster entstehende Ort erhielt den gleichen Namen, aus dem der heutige Ortsname Kemnade entstand. Frederuna leitete das Kloster als erste Äbtissin, ihr nach folgte ihre Schwester. Unter dem Kaiser Heinrich II. wurde das Kloster 1004 zu einem Reichsstift erhoben. Die große Klosterkirche, die 1046 vom Diözesanbischof Bruno von Minden geweiht wurde, lässt auf eine gute Fortentwicklung des Klosters und ein beträchtliches Ansehen des Konvents schließen. 1144 wurde Judith Äbtissin von Kemnade (auch Äbtissin zu Eschwege und später zu Geseke). Sie stammte aus der Familie der Grafen von Northeim. Ihr Bruder Heinrich wurde 1143 Abt von Corvey, drei Jahre später aber wegen Nichteignung abgesetzt. Sein Nachfolger wurde Wibald von Stablo. Zur selben Zeit musste auch Judith gehen und Kemnade verlassen. Sie hatte durch ihren unsittlichen Lebenswandel das Kloster in eine große Krise gestürzt. Sie liebte die Geselligkeit, feierte ausschweifende Feste und hatte verschiedene Liebhaber, denen sie auch Land schenkte. Das Kloster war in schlechten Ruf gekommen, Kemnade wurde von Kaiser Konrad III. an Corvey übertragen und Judith wurde abgesetzt. ( siehe Ballade) Es wird berichtet, dass man sie gewaltsam entfernen musste. Das Reichsstift ging mit all seinen Reichtümern in den Besitz des Klosters Corvey über. Es wurde eine Coveyer Probstei, Mönche zogen nun hier ein. Zwei Jahre später kam Judith noch einmal zurück und vertrieb mit ihren Bewaffneten die Benediktinermönche. Den Probst ließ sie in die Weser werfen. Erst Bewaffnete aus Corvey konnten Judith Einhalt gebieten und sie endgültig aus Kemnade vertreiben, sie blieb aber Äbtissin zu Geseke.

Bis 1169 blieb Kemnade Mönchskloster, danach stand es 25 Jahre lang leer, es war nun eine Propstei ohne Konvent. 1294 bezogen Benediktinerinnen aus dem St. Peters-Kloster Gehrden nördlich von Warburg das leerstehende Monasterium. Das Frauenkloster wurde reich ausgestattet, wobei sich die Herren von Homburg besonders hervorgetan hätten. Sie waren im 13. Jahrhundert auf der Grundlage Corveyischer Lehen die Landesherren. Kemnade war nach Amelungsborn das zweite Hauskloster der Homburger, die 1409 ausstarben. Danach verschlechterten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse, Kemnade verlor zahlreiche Besitztümer. Mitte des 15. Jahrhunderts war das Kloster bettelarm.

Im Jahre 1542 wurde im Herzogtum Braunschweig die Reformation eingeführt und das Nonnenkloster aufgehoben. Der Nonnenkonvent widersetzte sich der Reformation, wurde aber 1579 durch den Herzog Julius von Wolfenbüttel zum Verlassen des Klosters gezwungen. Sechs Damen hielten als lutherischer Konvent nun Einzug in das Kloster. Das Dorf Kemnade mitsamt dem Kloster wurde dem Marschall Hermann von Malsburg als Lehen übergeben und ein protestantischer Propst übernahm die Leitung des Klosters. Er war gleichzeitig Dorfpfarrer des Ortes. Auf Beschwerde des Abtes von Corvey wurde Kemnade 1593 an Corvey zurückgegeben.

1617 wurde Herr von Eßleben aus Corvey Probst in Kemnade. Drei Jahre später entsagte er dem geistlichen Stande und heiratete. Ihm wurde das Kloster für von ihm verausgabtes Geld zugesprochen. In den folgenden 160 Jahren gab es ständig Streitigkeiten um das Kloster zwischen Corvey und dem Hause Braunschweig. 1777 wurde der Streit beendet, das Kloster Kemnade kam an die Domäne Wickensen und Corvey wurde entschädigt.




     


Das Klostergebäude von vorne und von hinten mit dem Anbau der Klosterbäckerei.


Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Klosterhof an den Grafen von der Schulenburg in Hehlen verkauft, der die Wohngebäude an Kemnader Einwohner veräußerte. Von der ganzen Klosteranlage besteht heute noch ein Wohnhauskomplex mit abgeschlossenen Wohnungen.






Ballade der Judith


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Judith von Northeim

(Äbtissin in Kemnade von 1144 - 47)

Du trägst des Klosters Äbtissenstab
In unrein verfluchten Händen.
Ich stoße dich von dem Stuhl herab,
Den deine Läster schänden!

Ich rufe die Rache Gottes an
Über deine Frevel und Fehle,
Ich spreche dein schuldiges Haupt in Bann
Und deine verlorene Seele!“

Abt Wibald schrie es zum Turm empor,-
Hochoben steil im Gemäuer,
Da wehte weiß aus der Luke hervor
Eines Weibes flatternder Schleier.
Weit über die Brüstung schaute sie,
Sie stand in Wind und Sonne:
„Mönch, musst du bannen, so banne die,
Die mich geschoren zur Nonne!

Was gaben sie mich zur Sühne hin
Für Sünden meiner Sippen?
Ich habe der Northeims tollen Sinn,
Ihre roten lachenden Lippen!

Was setzten sie mir den Bannvogt ein
Mit den schwarzen krausen Haaren?
Eines Klosters Dienstmann soll weise sein
Und grau und greis von Jahren!

Geweihte Kerze ist matt von Glanz
Und hart ist steinernes Kissen.
Ich zählte die Küsse am Rosenkranz
Und habe die Kutte zerrissen!

Ich spreche dem Fluch der Kirche Hohn,
Und Hohn dem Pfaffengerichte - !“
Abt Wibald sprang an die Pforte schon,
Den roten Zorn im Gesichte:
Ergreift sie, Knechte! Du lästerst, Weib!




Dein sündiges Blut soll fließen,
Im härenen Hemde soll dein Leib,
In Flammen des Henkers büßen!

Und wäre der Turm viel fester noch
Und höher hundert Ellen,
Wir fangen die falsche Nonne doch
Und ihren Buhlgesellen!“

Er hob die Fäuste zum ersten Stoß,
Nachdrängte der Knechte Johlen,
Ein Bolzen klirrend zum Dache schoss
Und ein Beilhieb fuhr in die Bohlen.

Die Pfosten wankten, es kracht das Tor,
Da schrie das jähe Entsetzen,
Da quoll es unter dem Turmhelm vor
Wie flatternde schwarze Fetzen!

Abt Wibald packte den Riegel noch -,
Da sank der Arm ihm erschrocken,
Da fuhr’s aus Luken und Mauerloch,
Wie rote flatternde Flocken!

Und aus der Lohe ein Lachen bricht,
Das gellt vom Turme hernieder:
„Das härene Bußhemd taugt mir nicht
Für meine blühenden Glieder!

Und dräun die Flammen des Todes mir,
So soll kein Henker sie zünden,
Ich fahre zur Hölle heut und hier
In meinen seligen Sünden!“

Der Mönch stand fahl. Das Lachen war tot.
Schwarz rollten des Rauches Schwaden,
Wie Fackeln des Sieges stiegen rot
Die Flammen von Kemnaden!


Lulu von Strauß und Torney hat die Ballade
über die lebenslustige Äbtissin Judith
geschrieben, die nicht das hier geschilderte
Ende fand, sondern später Äbtissin in Geseke war.
Erschienen ist die Ballade 1935 in
„Reif steht die Saat“ (Jena)